In unserer westlichen Welt definiert sich der Wert eines Menschen über Arbeit, besser gesagt Lohnarbeit. Mit steigendem Lohn steigt meist auch das Ansehen. Auf Menschen, die nicht daran teilnehmen oder teilnehmen können, wird herabgesehen. In Medien und in der Politik wird dieses Phänomen durch besonders negative Sprache noch verstärkt. So werden Bürgergeldempfänger gerne als faul, arbeitsunwillig und Sozialschmarotzer dargestellt, obwohl selbst die Arbeitsagenturen dem widersprechen. Tatsächlich ist es nur ein winzig kleiner Prozentsatz an Arbeitslosen, der tatsächlich nicht arbeiten will. Warum aber wird so getan, als sei es umgekehrt, als sei der überwiegende Teil einfach nur faul und damit die Laus im Pelz der fleißig arbeitenden Bevölkerung?
In der Vergangenheit gab es Zeiten, in denen Arbeitskraft nicht viel wert war. Lohnarbeit begann erst mit der Ersten Industriellen Revolution [1] einen großen Raum einzunehmen. Vorher lebten und arbeiteten die Menschen [2] hauptsächlich im Handwerk, in familiären Kleinbetrieben, in der Landwirtschaft oder als Kaufleute.
Mit den Maschinen und Fabriken kamen die prekären Lebensverhältnisse. Das „Proletariat“ wurde skrupellos und rücksichtslos ausgebeutet. Menschen konnten kaum von ihrer Arbeit leben, sie mussten von morgens bis abends schuften – Männer, Frauen und Kinder, abhängig von den Fabrikherren, schutzlos und oft unter unwürdigen, verheerenden, oft gefährlichen Umständen. Es war ein Desaster. Angesehen waren nur der Adel, die Bischöfe und das reiche Bürgertum.
Die Folgen waren Verarmung, Verelendung, Hungersnöte der arbeitenden Bevölkerung und damit einhergehend Unmut und Unruhen.
Es kam zu Aufständen und Revolten und schließlich 1848 zur Revolution. Hauptforderungen waren eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitig mehr Lohn sowie ein Ausgleich der Missverhältnisse zwischen Arm und Reich. Arbeit sollte wertgeschätzt werden.
Es sollten aber noch 20 Jahre vergehen, bis Gewerkschaften gegründet wurden. Es dauerte weitere 10 Jahre, bis es mit einer neuen Gewerbeordnung zu einem Verbot von Kinderarbeit unter zwölf Jahren und zu einer Art Mutterschutz kam.
Damit stieg der Wert der Arbeit. Soziale Ungleichheit blieb trotzdem die Regel. Unentgeltliche Arbeiten wie Pflege Angehöriger, Haushalt oder Kindererziehung wurden seitdem nicht mehr als wirkliche Arbeit betrachtet und gering geschätzt.
Die zweite Industrielle Revolution [3] um 1870 brachte mit Elektrizität und Glühbirne, Erfindungen in der Automobilindustrie und elektrischen Haushaltsgeräten den Menschen Mobilität und Arbeitserleichterungen. Das Fließband ermöglichte großindustrielle Massenproduktionen. Langsam begannen ein Umdenken und Einlenken, die soziale Frage stand im Raum.
Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten bessere Arbeitsbedingungen zu den Forderungen der Gewerkschaften. 1918 wurde in Deutschland der Acht-Stunden-Tag eingeführt. Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Unzufriedenheit begünstigten die Wahl Hitlers. Schuld gab man hauptsächlich der jüdischen Mitbevölkerung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Regelung des Acht-Stunden-Tages wieder ins Rudern, denn Industrie und Wirtschaft brummte. So war die Parole von Ludwig Erhard [4]: „Lieber ein bisschen mehr schuften, als weniger verdienen!“ Erst mit steigendem Wohlstand der Bevölkerung kam 1965 die 5-Tage-Woche. Diese Vorstellung von Arbeit prägt bis Heute unser Denken und Handeln.
Die dritte industrielle Revolution nahm in den 70er-Jahren Fahrt auf. Sie brachte Automatisierungen, großflächige Vernetzungen und vor allem Computertechnik mit sich. Firmen konnten vielfältige Arbeitsabläufe auf Robotik umstellen. Viele Arbeitsplätze wurden überflüssig, andere entstanden dadurch neu. Globalisierung veranlasste so viele Betriebe, ihre Produktionsstätten in Billigstlohnländer zu verlagern. Andere begegnen Konkurrenz und Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe von Niedriglohn-Fertigung hierzulande mit neuen Formen prekärer Arbeitsbedingungen.
Seither spaltet sich die Arbeitswelt in Deutschland zum einen in gutverdienende Fachkräfte und zum anderen in inhuman ausgebeutete Billiglöhner. Gefordert von der Wirtschaft, unterstützt von der Politik wurde 2005 Hartz IV eingeführt. Die Entfesselung der Geldwirtschaft und der Kapitalgesellschaften erledigte den Rest.
Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2022 in Deutschland etwa 3,9 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Deren Familien und Angehörige sind damit ebenfalls arm. Was in Deutschland als wirtschaftlicher Erfolg gefeiert wird, ist in Wahrheit ein sozialer Offenbarungseid. Eine neue 3-Klassen-Gesellschaft ist längst etabliert. Diese Fehlentwicklung wird kaschiert indem die verschiedenen Unterschichtenmilieus gegeneinander aufgehetzt werden. Statt die Löhne anzuheben, werden die „arbeitsunwilligen“ Bürgergeldempfänger an den Pranger gestellt. Das Einkommen dieser Niedriglohn-Vollzeitarbeitsstellen reicht nicht aus, um eigenständig über die Runden zu kommen. Alleinerziehende stehen mit zu wenig Kitaplätzen und unangepassten Schulen im Regen. Viele Senior*innenen können von ihrer Rente kaum leben. Institutionen wie die Archen und Tafeln sprießen aus dem Boden. Schandflecke eines reichen Landes! Die Hauptschuld auf Migrant*innen abzuwälzen ist so einfach wie falsch. Lobbyisten und inhumane Politiker*innen stehlen sich so aus der Verantwortung.
Inzwischen steht die Vierte Industrielle Revolution [5] in den Startlöchern. Internet, 3-D-Drucker und KI machen es möglich. Arbeitskräfte werden weiter gebraucht, aber der Arbeitsmarkt befindet sich in einem atemberaubenden Wandel von historischem Ausmaß. Unser Leben und das nachfolgender Generationen verändert sich ökonomisch, kulturell, menschlich und vor allem sozial grundlegend.
Viele Arbeitsplätze fallen weg, obwohl neue in nie dagewesene Zahlen hinzukommen. Die Gesamt-Anzahl schrumpft trotzdem. Neue Wellen und Formen der Arbeitslosigkeit kommen auf uns zu. Ein Teil kann mit neuen Arbeitssystemen, verminderter Wochen-Arbeitszeit und Umschulungen auffangen, aber längst nicht alles. Für eine Bevölkerung, die sich weitgehend über Erwerbs-Arbeit definiert, ist das eine Katastrophe. Demgegenüber steht eine in ihren alten Denkweisen verhaftete Politik, die sich dem Wandel und damit verbundenen Entscheidungen und Veränderungen verweigert.
Die in Parlamenten vertretenen Parteien stehen vor einem grandiosen Versagen. Unmut und Unzufriedenheit der betroffenen Arbeitnehmer*innen wird mit noch mehr Hetze und Häme gegen soziale Randgruppen beantwortet. Abstiegsängste breiten sich in der schrumpfenden Mittelschicht aus. Die Vorstellung, selbst zu den Ausgegrenzten, den Verachteten, den Wertlosen zu gehören, lähmt humanitäres und rationales Denken. Ein wachsender Teil der Bevölkerung wendet sich einer nach rechts außen gerichteten politischen Revolution zu. Der Weg nach Rechts scheint die Lösung, dem vermeintlichen Ausweg in den Nationalsozialismus wird der Weg geebnet. Das wollten wir doch nie wieder. Doch die heutigen Voraussetzungen dafür sind denen zu Beginn der dreißiger Jahre gefährlich ähnlich.
Das Bedingungslose Grundeinkommen in einer angemessenen Höhe würde dieser Gefahr stark entgegenwirken. Die Angst vor Verarmung und deren tatsächliches Entstehen würden verhindert. Niemand wäre mehr der Stigmatisierung [6] durch fehlende Lohnarbeit ausgesetzt. Dem aktuellen Politik- und mediengestützten Arbeitslosen-Bashing wären die Grundlagen entzogen. Die Industrie könnte ihre Betriebe zukunftsorientiert umstrukturieren und Löhne dadurch in lebenswerten Höhen bezahlen. Weiterbildung wäre nicht mehr allein vom Wohlwollen zuständiger Ämter abhängig.
Es ist erwiesen, dass die meisten Menschen gerne einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen, die ihren Fähigkeiten und Begabungen entspricht. Das bedingungslose Grundeinkommen wird die Transformation zu einer klimaneutraleren Welt und den notwendigen Schutz der Natur sozialverträglich gestalten.
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist die humanitäre Stellschraube, um die Vierte Industrielle Revolution ohne gravierende soziale Schäden zu bestehen.
Artikel 1 unseres Grundgesetzes [7] sagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Alle Menschen sind wertvoll und haben ein Recht auf Würde …
egal, welche Religion sie haben,
egal, aus welchem Land sie kommen,
egal, ob sie Männer, Frauen, Kinder oder divers sind,
egal, wie alt sie sind,
egal, ob und welcher Tätigkeit sie nachgehen.
Der Staat selbst darf und kann die Menschenwürde nicht mehr verletzen. Lassen Regierungen weiter prekäres Leben, prekäre Arbeitsbedingungen, Armut, Ausgrenzungen und unsoziale Bedingungen zu, verletzten sie wissentlich das deutsche Grundgesetz.
#DiB steht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Wir stehen für das Grundgesetz.
(TEIL 2 folgt: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist finanzierbar.)
- https://www.gewerkschaftsgeschichte.de/industrielle-revolution-ausbeutung-und-massenelend.html
- https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/bereiche/mittelalter/_ressourcen/Interview-Ertl-Arbeitszeit.pdf
- https://www.studysmarter.de/schule/geschichte/industrialisierung/zweite-industrielle-revolution/
- https://www.stern.de/wirtschaft/news/arbeitszeit-und-wirtschaftswunder—samstags-gehoert-vati-mir-8632264.html
- Professor Dr. Klaus Schwab. Die vierte Industrielle Revolution. Pantheon-Verlag 2016
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/27813/faule-arbeitslose/
- https://www.bpb.de/themen/politisches-system/politik-einfach-fuer-alle/236724/die-wuerde-des-menschen-ist-unantastbar/