Mainz – Hanne D. (18) ist Schülerin im Abiturjahrgang eines privaten Gymnasiums in Hessen. Vor den Osterferien war sie komplett im Präsenzunterricht. Bis zu ihren Abiturprüfungen wird sie vorerst nicht in die Klassenräume zurückkehren.
Hanne, nach den Osterferien sollen flächendeckende Selbsttest und damit Wechselunterricht für Schüler*innen möglich sein. Die Tests sollen an zwei Schultagen pro Woche stattfinden. Hältst du das für umsetzbar an deiner Schule und würdest du dich dadurch theoretisch sicherer fühlen, wenn du nochmal in die Klassenräume zurückkehren müsstest?
Hanne: Ich finde es schwierig umsetzbar, da an meiner Schule mindestens 1000 Schüler*innen sind, plus Berufsschüler*innen sind es 1500. Das wären dann 3000 Tests pro Woche. Wer soll das überwachen und aufpassen, dass auch Fünftklässler*innen die Tests korrekt durchführen? Welche Eltern beschweren sich da? Wenn man den Schüler*innen sagt „macht es selber“ muss auch geschaut werden, dass das Stäbchen tief genug drinnen ist. Kann man das überhaupt jede*r zumuten – Kindern mit Behinderung etc., die Ängste haben oder ähnliches. Also natürlich würde ich mich sicherer fühlen, aber ich glaube nicht, dass das gut und lang umsetzbar ist.
Du warst vor den Ferien im Präsenzunterricht. Welche Vorkehrungen hat deine Schule dort getroffen, um ein sicheres Lernumfeld zu gewährleisten? Und hast du dich dadurch vor Corona ausreichend geschützt gefühlt?
Hanne: Es waren nur die Abschlussklassen in der Schule und einen Monat später auch die fünften und sechsten Klassen. Die meisten bei uns tragen FFP2 Masken. Es ist theoretisch verboten, in den Pausen in den Räumen die Maske abzunehmen – praktisch setzt das keiner um, weil die Menschen müde sind und keiner mehr Lust hat. Ich bin eine der wenigen, die sich relativ penibel daran gehalten hat. Einfach aus dem Grund, dass ich zur Risikogruppe gehöre.
Was ich besonders problematisch fand ist, dass die fünften und sechsten Klassen in voller Klassenstärke in einem Raum sitzen durften, weil sie unter 14 sind. Da gibt es ja keine Beschränkungen. Da sitzen dann ungefähr 26 Haushalte in einem Raum, die sich ganz offensichtlich nicht an die Maskenpflicht halten. Was am Anfang der Pandemie noch gemacht wurde, wodurch ich mich sicherer gefühlt habe: Die Tische wurden von mehr Putzpersonal in den Pausen desinfiziert. Das gab es dann aktuell auch nicht mehr. Und nein, ich habe mich nicht sicher gefühlt und hatte am Anfang auch große Angst, in die Schule zurückzugehen.
Bevor du vor den Ferien im Präsenzunterricht warst, hast du auch am Online-Unterricht teilgenommen. Hast du alle technischen Mittel zuhause, um an der digitalen Lehre teilzunehmen?
Hanne: Jein. Es wurde ab letztem April erwartet, dass wir internetfähige und kamerafähige Geräte zur Verfügung haben. Ich bin an einer Privatschule, trotzdem haben wir auch Menschen bei uns, die weniger wohlhabend sind. Und es gab auch immer wieder Internetprobleme, auch bei Online-Klausuren, die geschrieben wurden.
Auch gibt es Familien, in denen Geschwister stören, wo Eltern stören, wo ein toxisches Umfeld im Haushalt herrscht, wo kein Verständnis gezeigt wird. Was ich auch gehört habe, dass kleine Geschwister mit dem Online-Unterricht überfordert waren und das da geholfen werden musste und dass da viel Zeit draufgegangen ist.
Das hört sich alles schwierig an. Siehst du trotzdem in irgendeinem Bereich Vorteile im Online-Unterricht?
Hanne: Für mich persönlich, Zeitmanagement. Was ich sonst in 45 Minuten abgearbeitet habe, habe ich dann in 20 Minuten fertig. Es gibt aber auch Menschen, denen das Lernen schwerer fällt. Da wurden aus den 45 Minuten dann 90 Minuten, zuhause alleine. Man lernt selbstständiges Arbeiten, das ist sicherlich hilfreich für die Universität später – ansonsten habe ich da nicht wirklich viele Vorteile drin gesehen.
Und wie sieht es mit den Nachteilen aus?
Hanne: Eine Menge Arbeit hat sich gehäuft. Lehrer haben oft unterschätzt, wie viel sie jetzt wirklich einem zu tun geben. Generell haben soziale Kontakte gelitten.
Welche Fächer haben besonders durch den Online-Unterricht gelitten?
Hanne: Sport. Ich kann meine Abiturprüfung nicht in meinem gewünschten Bereich machen – das war eine absolut beschissene Situation. Ich habe kein Musik oder Kunst mehr. AGs gab es gar nicht mehr. Und ansonsten würde ich sagen, dass bei mir persönlich die Nebenfächer stark gelitten haben, weil man versucht hat, sich auf seine wichtigen, abiturrelevanten Hauptfächer zu konzentrieren. Gerade, wenn man ältere Lehrer*innen hatte, die nicht mit der Technik klarkamen, hat man in der Zeit auch nichts gelernt.
Hast du psychische Belastungen durch den Online-Unterricht?
Hanne: Würde ich schon sagen. Ein vermehrtes Stressgefühl – so ein Gefühl, nicht mehr hinterher zu kommen. Auch wenn ich persönlich damit ganz gut umgehen kann, sehe ich es bei Freund*innen, bei denen Schule eine hohe Priorität hat, dass das Ganze echte Ängste ausgelöst hat.
Wir sind nicht in einem Wahljahr, wir sind vorrangig in einer Pandemie
Hat die Politik im Sommer versäumt, Corona-Schulkonzepte für den Herbst und Winter zu entwickeln?
Hanne: Ja, finde ich enttäuschend. Ich finde es generell enttäuschend, wie die Politik damit umgeht. Das Problem ist, dass wir uns in einem Wahljahr befinden und das deswegen niemand so handeln will, dass es der Bevölkerung nicht passt. Ich sehe halt, dass wir im Moment in einer Pandemie stecken und nicht in einem Wahljahr. Das sollte eigentlich Priorität haben. Es wurde definitiv verpasst, Konzepte auszuarbeiten. Gerade weil es keine einheitlichen Konzepte gibt, weil Bund und Länder immer noch getrennt sind und getrennt entscheiden.
Fühlst du dich insgesamt ausreichend auf deine Abiturprüfungen vorbereitet?
Hanne: Nein. Wir waren viel zu wenig da. Und wir waren noch am meisten da. Meine Gedanken gehen gerade am meisten an die jetzige Q2 (elfte Klasse), die seit sechs Monaten nicht mehr in der Schule war. Bei denen weiß ich wirklich nicht, wie sie in einem Jahr ihr Abitur schreiben sollen. Ich habe alles mitgenommen, irgendwie, aber es war anders. Meine ganze Vorabiturphase habe ich praktisch mit Corona verbracht. Vorbereitung war nicht wirklich da.
Zum Abschluss: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat den Vorschlag gemacht, die Abiturprüfungen gegebenenfalls abzusagen und nur die Leistung im Unterricht zu bewerten. Was hältst du von diesem Vorschlag?
Hanne: Kann man nicht machen, da ich schon mindestens zehn Leute auflisten könnte, die klagen würden. Wir haben uns jetzt schon alle vorbereitet, das wäre einfach unfair. Ihr habt uns die letzten vier Monate in der Schule sitzen lassen. Ihr könnt uns jetzt sicherlich alle in irgendwelche Räume setzen und diese Prüfung noch schreiben lassen. Viele haben Hoffnungen auf die Abschlussprüfungen, da die das Ganze eher besser, als schlechter machen.
Ich habe auch nicht viel Lust fünf Stunden mit FFP2 Maske in einem Raum zu sitzen, wo ich extra zum Trinken immer rausgehen muss und dafür netterweise 10 Minuten mehr Zeit bekomme. Aber ich will das machen, weil ich nicht für immer der Corona-Jahrgang sein will.