Was für ein Jahr!

Demokratie in Bewegung

Heute vor genau einem Jahr, am 25. November 2016, kamen in Berlin erstmals Menschen zusammen, um eine neue Partei zu gründen. Ein Rückblick.

Es ist ein kalter und regnerischer Novemberabend. Wir drängen uns in einen kleinen Raum in Berlin-Mitte, es gibt Suppe und Tee. Etwa zwanzig Menschen sind gekommen., Mehrere kommen aus dem Aktivismus, andere sind Autore/innen, Künstler/innen, fast niemand war vorher Mitglied einer Partei. Die Gespräche drehen sich um die Ereignisse der letzten Monate.

Die Wahl Donald Trumps einige Tage vorher war trauriger Höhepunkt einer ganzen Serie politischer Ereignisse. In ganz Europa sind Rechtspopulist/innen auf dem Vormarsch, die AfD erreicht in Umfragen zweistellige Werte, der Brexit stellt plötzlich die EU in Frage. Das gefestigten Bild einer liberalen, weltoffenen Demokratie bekommt Risse. In der Runde wird schnell klar, was uns verbindet: der Impuls „wir dürfen nicht länger zugucken, wir müssen jetzt etwas tun!“

Man müsste eine neue Partei gründen, das klingt eher nach Stammtisch als nach sinnvollem politischen Engagement. Aber die Idee schwirrt einigen von uns schon länger durch die Köpfe. Immer wieder hören wir uns sagen: „Ich weiß nicht mehr, wen ich wählen soll.“ Wir wählen aus Taktik statt aus Überzeugung; nicht, um zu gestalten, sondern um schlimmeres zu verhindern. Die bestehenden Parteien erscheinen uns undemokratisch, unglaubwürdig, phantasielos oder in der Vergangenheit gefangen. Niemand traut ihnen mehr eine Erneuerung zu, hin zu einer modernen, echt-demokratischen, wertebasierten Politik.

Das grundlegende Problem in allen bestehenden Parteien, das wird uns an diesem Abend klar, sind die erstarrten Strukturen. Progressive Ideen setzen sich nicht durch, Lobbyist/innen großer Konzerne bestimmen die politische Agenda, einfache Mitglieder haben kaum noch Einfluss. Wenn wir eine echte Alternative wollen, ohne Hass und Hetze, dann müssen wir bei den Strukturen ansetzen. Demokratie in Bewegung ist geboren.

In den nächsten Tagen und Wochen stoßen immer mehr Menschen zu DiB. Wir setzen uns das Ziel zur Bundestagswahl anzutreten, wenn 100.000 Menschen die Idee einer neuen Partei mit ihrer Unterschrift unterstützen. Die Arbeitskultur gleicht eher einem Start-Up als einer Partei. In nur wenigen Wochen wird eine Partei entwickelt, in der Demokratie, Transparenz und Vielfalt fest in der Satzung verankert sind. Alle Mitglieder unterschreiben einen Ethikkodex, alle Inhalte werden demokratisch abgestimmt. Die Tage vor der Gründung sind turbulent: der Petition fehlen noch mehrere tausend Unterschriften und in der Nacht vor der Gründung erklärt unsere Anwältin ein Drittel der Satzung als nicht vereinbar mit dem Parteiengesetz. Trotz allem: wir schaffen es. Aus einer Idee wird am 29.4.2017 eine Partei.

Einige Wochen später: während unsere Freund/innen in der Sonne liegen und grillen, ziehen wir durch Parks und sammeln Unterschriften. Der Zeitplan für die Bundestagswahl ist mörderisch. In nur 5 Wochen gründen wir 16 Landesverbände. Es bleiben gut 4 Wochen, um über 20.000 Unterschriften (auf Papier) zu sammeln und bestätigen zu lassen, danach Wahlkampf. Einige Mitglieder ziehen sich zurück, um wieder Zeit für ihre Familien zu haben und wir müssen ein Moderationsteam gründen, um bei Konflikten zu vermitteln. Die DiB-Wahl-o-Mat Ergebnisse lösen einen kleinen Hype aus, aber die AfD dominiert die Berichterstattung. Wir alle kommen an unsere Grenzen und merken, wie hart Politik sein kann.

Bis zum Wahltag verteilen wir tausende Flyer, klingeln an unzähligen Türen und versuchen, Menschen für eine neue Art von Politik zu begeistern. Aber diesmal reicht es nicht. Das Endergebnis liegt weit hinter unseren Hoffnungen. Enttäuscht gehen wir nach Hause und machen erst mal Urlaub. E-Mails bleiben unbeantwortet, unsere Facebook-Seite ist leer. In Berlin beginnen die Sondierungsgespräche und es sieht nicht gut aus für den Neuanfang für Demokratie und Gerechtigkeit, für den wir gekämpft hatten.

Aber mit jedem Tag, der vergeht, merken wir, wie sehr wir uns eine Partei wie DiB wünschen. FDP und Grünen streiten um zwei kümmerliche Kohlekraftwerke – warum kämpft niemand mehr für eine radikale Energiewende? Die CSU übernimmt das AfD-Programm – warum sind Weltoffenheit und Vielfalt plötzlich Teil der Verhandlungsmasse? Wo sind die großen Ideen? Wo die Visionen? Ach ja, richtig, das war das Problem – progressive Ideen setzen sich nicht durch, Lobbyisten großer Konzerne bestimmen die politische Agenda, einfache Mitglieder haben kaum noch Einfluss. Erstarrte Strukturen und eine mut- und phantasielose Politik waren der Grund, warum wir im November 2016 zusammen gekommen sind.

Heute, genau ein Jahr später, beginnen wir unseren dritten Bundesparteitag. Heute, ein Jahr später, verlässt DiB eine anstrengende, aber aufregende Startphase. Um viele Erfahrungen reicher wollen wir Strukturen weiter professionalisieren und einen neuen Vorstand wählen. Wir wachsen immer noch stetig und blicken heute in unzählige neue Gesichter. Um viele Erfahrungen reicher wissen wir spätestens jetzt, dass Politik keine Kampagne ist. Wer das politische System so grundsätzlich ändern möchte wie DiB, braucht einen langen Atem. Aber wir haben gelernt, dass unsere Vision nicht alt wird. Denn eine intransparente und ungerechte Politik fördert Politikverdrossenheit und stärkt die Rechten. Wir brauchen einen Neuanfang für Demokratie und Gerechtigkeit dringender denn je!

DEMOKRATIE IN BEWEGUNG KANN ALLES SCHAFFEN

Wenn wir jetzt zurückblicken, auf ein Jahr DiB, was sehen wir dann? In erster Linie die vielen Menschen, die gemeinsam mit uns für eine gerechte, demokratische und vielfältige Politik kämpfen, und die unsere Freund/innen geworden sind. Die mit Herzblut unglaubliches aufgebaut haben. Die eine Idee in wenigen Monaten auf über 75% der Wahlzettel gebracht haben. Mitglieder, Beweger/innen, unzählige Menschen, die gespendet haben oder ihren Freund/innen und Bekannten von DiB erzählt haben. Danke! Ihr seid DiB! Ihr habt etwas ganz besonderes erschaffen und es geht gerade erst los.

Auf das nächste Jahr!

Dorothee, Henrike und Clemens

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