Die Jamaika-Sondierungen gehen in die Verlängerung. Zur Klarstellung: die Sondierungen, nicht die Koalitionsgespräche. Die Parteien sind sich also nach wochenlangen Verhandlungen noch nicht einmal sicher, ob sie denn auch wirklich verhandeln wollen.
Nun ist die Kombination aus Union, FDP und Grünen neu und man will sichergehen, dass es passt. So weit, so nachvollziehbar.
Und doch zeigt dieses Schauspiel eindrucksvoll, was schief läuft in unserer Demokratie: Die Parteien bemühen sich, aus ihren teilweise völlig konträren Forderungen einen Vertrag zusammenzuschustern, der mit ganz viel Glück und wenn sich alle zusammenreißen, vier Jahre halten könnte.
Damit ein solcher Vier-Jahres-Plan funktioniert, darf er nicht polarisieren – enthält also vor allem weichgespülte Kompromisse. Er muss zentrale Wahlversprechen aller vier Parteien enthalten – und wird so automatisch zum Flickenteppich ohne klare Vision, ohne roten Faden. Und er darf fast nichts kosten – die schwarze Null muss stehen!
Wie sollen so neuartige Lösungen gefunden und neue Wege beschritten werden? Wie sollen so mutige Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit entstehen? Wie soll so eine gerechtere, eine nachhaltige, eine zukunftsfähige Gesellschaft gestaltet werden?
Doch wie könnte es anders gehen?
Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es wohl nicht. Aber vielleicht ein paar Ideen, die einen Test wert wären:
Co-Kreation statt Planung
Die Zukunft ist in unserer schnelllebigen Gesellschaft nicht vorhersehbar und auch kaum planbar. Vier Jahre sind ein wahnsinnig langer Zeitraum, in dem sich allein technologisch sehr vieles weiterentwickelt. Anstatt einen Koalitionsvertrag mit Plänen für eine komplette Legislaturperiode zu füllen, sollten sich Regierungsparteien lieber auf eine gemeinsame Vision und Ziele einigen.
Innerhalb dieses Rahmens können dann Regierung, Parlament und Parteien konkrete Gesetzesinitiativen entwickeln und wechselnde Mehrheiten dafür gewinnen. Im Sinne der Co-Kreation, der gemeinsamen Gestaltung, muss dieser Prozess stärker als bislang für die Partizipation von Bürger/innen, Initiativen, Verbänden und NGOs geöffnet werden.
Klarer Kurs und Kompromisse
Wie soll das gehen, die CSU und die Grünen in eine Koalition zu pressen, in der die unbedingte Fraktionsdisziplin und Koalitionstreue zu gelten hat? Ergebnis können nur lauter faule Kompromisse sein, keine Regierung mit einer starken gemeinsamen Basis und großen Projekten für die kommenden Jahre. Wieso traut sich eigentlich niemand an das Experiment „Minderheitsregierung“ heran? Lieber wird eine vermeintlich sichere Mehrheit aus Fraktionen erzwungen, die bei vielen Themen meilenweit auseinanderliegen.
Eine Minderheitsregierung hingegen könnte ihren eigenen klaren Kurs haben – und müsste dann bei jeder Maßnahme mit guten Argumenten um Mehrheiten im Parlament werben bzw. von vorneherein projektbasiert Partner/innen finden. Dadurch würden auch die Argumente der Oppositionsparteien in den Gesetzgebungsprozess einfließen. Das Meinungsbild des Parlamentes, das schließlich möglichst gut die Bürger/innen repräsentieren soll, würde vielfältiger in der Gesetzgebung widergespiegelt.
Alle Macht der Basis
Alle Themen, bei denen es in den Jamaika-Gesprächen knirscht, landen am Ende auf dem Tisch der Chef-Runde. Diejenigen, die an der Macht sind, entscheiden. Merkel, Lindner und Co. müssen es dann richten. Wenn sie sich einig sind, wird der Rest schon folgen. Doch entstehen so wirklich die Lösungen, die in der Breite der Parteien und damit auch von vielen Bürger/innen gewünscht werden?
Statt die letzte Entscheidung einem winzigen Machtzirkel zu überlassen, sollte man der Weisheit und den Ideen der Basis mehr vertrauen. Zum Beispiel so: Zu allen wichtigen Themen einer anstehenden Koalition gibt es große Workshops und digitale Ideensammlungen, die allen Mitgliedern der beteiligten Parteien offenstehen. Die Ergebnisse werden gefiltert und aufbereitet und anschließend unter allen Mitgliedern abgestimmt. Dabei setzt man nicht auf das simple Mehrheitsprinzip, sondern auf das Systemische Konsensieren, um tatsächlich die Lösungen zu finden, die den größten Rückhalt bei allen genießen.
Um die Jamaika-Unterhändler/innen von diesen Ansätzen zu überzeugen, ist es vermutlich etwas zu spät. Aber dafür gibt es ja DiB! Wir testen derzeit einige der oben genannten und viele weitere Ideen im Kleinen – und hoffen, irgendwann in den kommenden Jahren selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen. Dann können wir zeigen, dass es möglich ist – dann können wir Politik anders machen!
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